Voll von geheimnisvollen Sagen und Erzählungen ist das Schlerngebiet in Südtirol.
Allen voran die „Schlernhexen“, die auf Südtirols Hausberg ihr Unwesen treiben sollen. Auf dem langen Rücken des Massivs treffen sich die finsteren Gestalten und brüten Unwetter und andere Untaten aus. Der Kachler Hans, ein finsterer Geselle, soll ein schlimmer Hexenmeister sein und zusammen mit ihnen am Hexenberg tanzen. Die Kräuterfrauen zaubern Kranken mit wundersamen Heilmitteln die Morgenröte ins Gesicht. Die Salingen, entzückende Weibchen, wurden von König Laurin in wunderschöne Blumen verwandelt und sind in den Herbstmonaten dazu verdammt, sich zu gar grausamen Gestalten zu verwandeln.
Viele mystische Plätze und Orte berichten bis heute von den finsteren Wesen aus den Sagen, die man sich in Südtirol erzählte.
In alter Zeit stand an der Stelle des Dorfes Seis und bis oberhalb St. Valentin eine große Stadt. Einmal kam ein alter, armer Mann und suchte eine Herberge, aber kein mitleidig Herz öffnete ihm eine Thüre [Türe]. Da zog er weiter und sprach oberhalb St. Valentin in einem Bauernhause zu und ließ sich eine „Kelle“ mit Wasser geben. Dies schüttete er zum Fenster hinaus und im Nu war die große, stolze Stadt überschwemmt. In der Kirche St. Virgil* gebot der Heilige dieses Namens mit seiner „Krücke“ (Hirtenstab) dem daherrasenden Schutte und Gerölle Halt, und das wilde Element gehorchte ihm. So blieb die Kirche St. Virgil stehen – Das erste Amt am Ostersonntage wird noch in der Filialkirche zu St. Valentin in Seis gehalten, weil sie an der Stelle der Pfarrkirche der Seiser Stadt gestanden haben soll. (Castelrut. Prof. Th. Wieser.)
* St. Vigil!
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 631, S. 357f
Oswald von Wolkenstein verlies aus Eifersucht seine Frau und Kinder auf Hauenstein, das so schlecht mit Lebensmitteln versehen war, daß seine Frau vor Hunger starb, er bei seiner Rückkehr auch nur mehr ein Kind am Leben fand. Später sah man oft vor dem Burgtor eine Frau sitzen, die ihr Haar kämmte. Öfters soll sie braven Leuten, die auf das Schloß kamen, von einem Schatz gesagt haben, der im Hof verborgen liegt. Oft sah man dort größere Feuer, Lichter sieht man Nachts jetzt noch öfters, die den Wanderer nicht selten irreführen.
Einmal ging ein Bauer aus Seis hinauf zum Schloß und wollte den Schatz heben. Doch alle Mühe war umsonst, er fand nichts als zerbrochene Fensterscheiben. Wundershalber nahm er ein paar solche Glasstücke mit, und wie er zu Hause ankam, waren diese auf einmal zu blanken Goldstücken geworden.
Ein anderes Mal stieg wieder ein Bauer von Seis in die Burg hinauf, um den Schatz zu finden. Aber auch sein Suchen war vergebens; er fand nur ein paar große Federn vor dem Tore. Da nahm er eine davon und steckte sie sich auf den Hut. Heimgekommen, fand er statt der Feder einen silbernen Löffel auf seinem Hute! (Kastelruth.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 525, S. 296
Der Schlern von Kastelrut aus gesehen.
Eines der auffälligsten und bizarrsten Dolomitmassive Südtirols bildet der Schlern auf der Ostseite des Eisak zwischen Waidbruck und Blumau. Doch bemerkt der Talwanderer oder Eisenbahnreisende wenig oder gar nichts davon; nur einige Mal blicken die Schlerntürme durch die von ihnen zum Eisak ziehenden Schluchten hervor, das ist alles. Wer das imponierende Steingebilde recht erschauen will, muß höher steigen, nach Kastelrut, Seis oder auf den Ritten. Fast am prächtigsten ist der Blick auf dasselbe von Kastelreut aus, von wo das hier beigegebene Bild aufgenommen worden ist.
Quelle: Der Alpenfreund, Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genußvollen Bereisung derselben. HG Dr. Ed. Amthor, 4. Band, Gera 1872, S. 375.
Auf dem Schlern war es einmal wieder aper geworden, und ein neuer Schwaiger kam hinauf und richtete sich in der Sennhütte ein. Wie die Nacht hereinbrach, kroch er auf den Heustock und machte sich in dem spärlichen Heu, das noch vom vorigen Jahr da verblieben war, sein gemütliches Nest. Er war kaum eingetost, da ging die Tür auf und herein trat ein Wilder Mann. Der Schwaiger tat, als ob er nicht da wäre und blieb mäuschenstill.
Der Wilde ging schnurstracks zum Herd, schürte darauf ein Feuer an und kochte aus Asche und Wasser einen Blenten oder Pulggen, wie ihn die Leute hießen. Der rechte Pulggen wird aber aus Schwarzblentenmehl (Heidekorn) mit Wasser gekocht. Der Schwaiger schaute heimlich zu, und ein wenig fürchtete er sich auch.
Als nun das Aschenmus fertig gekocht war, winkte der Wilde dem Senner, aus seinem Versteck hervorzukriechen. Dieser wagte es nicht, dem Wilden sich zu widersetzen, stieg also, obwohl es ihn ordentlich gruselte, vom Heu herab und blieb vor dem Herd stehen. Der Wilde fing an zu essen und winkte dem Schwaiger, mitzuhalten; der wollte nicht recht, aber als der andere ein zweitesmal den Wink tat, schoppte der Schwaiger in Gottes Namen ein Stück Pulggen in den Mund. Viel wird’s nicht gewesen sein. Der Wilde grinste und war’s zufrieden, daß er nur aß. Und so ging’s ein zweitesmal. Als sie nun beide das Mus gegessen hatten, ging der Wilde Mann wieder fort.
Hätte der Schweiger nicht mitgegessen, so würde ihn der Wilde zerrissen haben.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 352
Ein Bauersknecht in Seis beobachtete heimlich die Stalldirn, welche im Rufe der Hexerei stand, als sie gerade in der Küche die Ofengabel mit einer Salbe einrieb und auf derselben mit dem bekannten Spruche:
„Überall auf
Und nirgends an!“
durch den „Kemat“ (Kamin) hinaufritt. Da sie den Salbentiegel stehen gelassen hatte, benützte der Knecht die gute Gelegenheit, schmierte damit am Küchenbesen herum, setzte sich dann rittlings darauf und fuhr mit dem Spruche:
„Überall auf
Und überall an!“
ebenfalls durch den Kamin. Den Spruch hatte er nämlich falsch gehört. Arg zugerichtet, gelangte er auf das Dach; er war mit seinem Schädel überall angeprallt.
Durch die Luft ging,s nun aber leichter, und so kam er richtig auf den Schlern, wo die Hexen schon flott tanzten. Der Knecht tanzte auch mit, und als der Tanz zu Ende war, zerrten ihrer etliche die Stalldirn herbei, schlachteten und brieten sie. Darauf setzten sie sich alle im Kreise nieder und hielten guten Schmaus. Dem Knechte warfen sie eine gebratene Rippe hin, aber es ekelte ihn davor und er aß die Rippe nicht, sondern steckte sie ein.
Als die Hexen darnach die Knochen zusammenstellten und die Dirn wieder lebendig machten, fehlte die Rippe, die der Knecht zu sich gesteckt hatte, und sie setzten statt derselben eine Rippe aus Haselholz ein. Dabei sagten sie, wenn jemand die Dirne jetzt „Haselhexe“ heißen würde, müßte sie sofort tot hinfallen. So fuhren alle wieder heim. Am andern Tage, als der Knecht und die Stalldirn beim Essen waren, sagte auf einmal der Knecht zum Bauern: „In deinem Hause ist eine Hexe.“ Der Bauer aber entgegnete zornig: „Was, in meinem Hause soll’s Hexen geben? Das sag‘ mir kein zweitesmal mehr!“ Darauf der Knecht: „ja, in deinem Hause ist eine Haselhexe.“ Im Augenblick rasselte es vom Stuhl, und die Dirn lag mit zerbrochenen Gliedern tot auf dem Boden.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 435 f.